Nein zu Spardiktaten und Nationalismus!
Solidaritätsreise nach Griechenland, 15. bis 22. September 2012
mit den DelegationsteilnehmerInnen:Fritz Klein, Betriebsrat S-Bahn Berlin, EVG – Andreas Hesse, Berlin, ver.di FB 8 – Erich Bauer, AlternativeMetaller, Daimler, Kassel – Wilfried Dreßler, IGM Salzgitter, DGB-KV Wolfenbüttel-Süd, Landesvorsitzender Niedersachsen DFV – Matthias Grzegorczyk, ver.di, Betriebsrat American Apparel, Düsseldorf – Manfred Klingele, GEW, Hamburg – Rolf Becker, ver.di, Hamburg –Rainer Thomann, Gewerkschaft Unia, Zürich – Peter Haumer, Gewerkschaft Privat Angestellter, Wien – Anna Leder, Gewerkschaft Handel Transport Verkehr, Wien – Milenko Sreckovic, Pokret za slobodu/Freiheitskampf, Belgrad – Zoran Gocevic, Beschäftigter Pharmaceutical Factory from Belgrade ─ Tanja Sainz-Martín,Hamburg ─ Romin Khan, Redakteur Mitgliedernetz, ver.di ─ Hans Köbrich, IGM Bildungsreferent Berlin ─ Jan Rübke, ver.di LBFG Vorstand FB 4 Hamburg
„
…Wir haben beschlossen, als Zeichen der Solidarität nach
Griechenland zu fahren. Wir wollen uns selbst ein Bild machen von den
verheerenden sozialen Zuständen. Wir wollen Kontakte vertiefen und
neue aufbauen mit denjenigen, die sich seit zwei Jahren gegen die von
der Troika verordneten Spardiktate zur Wehr setzen. Wir wollen ihnen
zeigen, dass es auch im relativ ruhigen Deutschland KollegInnen gibt,
die sie unterstützen. Nach unserer Rückkehr werden wir die gewonnenen
Erfahrungen weitergeben – damit die Idee der grenzübergreifenden
Solidarität stärker wird und sich ausbreitet. Heute die griechische
Bevölkerung, morgen wir – der Krisenlösung von Oben die Solidarität
von Unten entgegensetzen.“
Das Reisetagebuch von unseren Kolleg/innen vor Ort in Griechenland kannst du mit einem click hier lesen!
Hier nur zwei Tagebuchauszüge:
Reisetagebuch Montag (17.9.)________________________________________________________
Morgens kam Heike zu uns ins Hotel. Sie ist
Griechenland-Korrespondentin für Junge Welt und Neues Deutschland. Sie
erläuterte uns ihre Sicht auf die politischen Verhältnisse in
Griechenland. Wir sprachen u.a. länger über das Aufkommen der
faschistischen Partei „Goldene Morgenröte“. 2009 lag sie noch bei 0,29%
bei den Wahlen, dieses Jahr in beiden Wahlen bei 6,9%, also ein
Aufstieg wie aus dem Nichts. Ihr Hauptmerkmal ist, dass sie die
Ausländer zu Sündenböcken erklärt und offen zur Jagd auf sie aufruft
und das auch tut. Im Moment sind es noch die Illegalen, die sich in
Griechenland aufhalten. Deren Zahl schwankt zwischen geschätzten 800 000
und zwei Millionen. Auf Deutschland umgerechnet wären das zwischen
fünf und 13 Millionen. Es sind Flüchtlinge, die es bis Griechenland
geschafft haben, aber kein Asyl oder einen gesicherten Status haben.
Sie können nicht weiter fliehen, da Griechenland aus Sicht der anderen
EU-Staaten wie Deutschland als erster Aufnahmestaat dient. Der Staat
tut nichts für sie. Sie hausen irgendwo und überleben irgendwie. Da
schafft auch Probleme gegenüber der griechischen Bevölkerung. Daran
knüpfen die Faschisten an. Ein sehr großes Wählerpotential ist die
Polizei. Dies erklärt zum Teil, warum es bei Überfällen öfters eine
Quasi-Zusammenarbeit zwischen Faschisten und Polizei gibt.
Nachmittags hatte Apo für uns ein Treffen mit
Gewerkschaftern des Transportbereichs organisiert. Wir trafen uns in dem
Büro einer Gewerkschaft im Endstationsgebäude der Piräus-Linie.
Eurydike übersetzte für uns zwei Stunden lang. Das war sehr anstrengend
für sie, zumal gegen Ende die Beiträge immer länger und engagierter
wurden. Sie machte es aber prima.
Es waren sowohl mehrere
Gewerkschaftsorganisationen vertreten als auch engagierte Kollegen. Für
uns verwirrend war, dass praktisch jeder Betriebsbereich mindestens
eine Gewerkschaft hat. Insgesamt sind dort sieben Gewerkschaften aktiv,
von denen eine z.B. 180 Mitglieder von 1005 Beschäftigten hat, eine
andere vertritt 50 Beschäftigte des Kontrollzentrums. Alle sind
Mitglied des Verbandes für den Transportsektor. Ebenso gibt es einen
regionalen Verband für die Stadt Piräus. Alle sind Mitglied des
Dachverbandes GSEE für Griechenland.
Die Gewerkschaftsvertreter berichteten erst über ihre Situation,
die seit drei Jahren von massiven Angriffen geprägt ist: Lohnkürzungen
bis zu 30%, Entlassungen, Rentenkürzungen, Beseitigung
gewerkschaftlicher Rechte, Privatisierungen, Wirtschaftskrise (seit
2009 Rückgang BIP um 22%). Jetzt wird gerade über das dritte Sparpaket
verhandelt, das eine weitere Verschlechterung bringen wird. Die Angst
war mit Händen greifbar.
Nachdem Andi unsere Gruppe und ihr
Anliegen vorgestellt hatte, berichtete Fritz von der S-Bahn Berlin von
seinen Erfahrungen im Kampf gegen die Privatisierung. Wichtig war
dabei, dass die kämpfenden KollegInnen dabei von den jeweiligen
Gewerkschaftsführungen und den Betriebsräten im Stich gelassen wurden.
Sein Fazit war, dass die KollegInnen selbst eine Organisation aufbauen
müssen, die sie im Kampf weiterbringen kann.
Das war so etwas wie der Startschuss für
eine lebhafte Diskussion, die über Grußworte an uns von den
griechischen Kollegen geführt wurde. Dabei kam auf einmal zur Sprache,
dass die Dachverbände die Gewerkschaften an der Basis im Stich gelassen
haben. Es scheint also durchaus ähnliche Probleme zu geben, wie wir
sie in Deutschland kennen. Obwohl die Differenzen nur indirekt zur
Sprache kamen, war die Situation plötzlich ganz angespannt.
Sie berichteten uns auch, dass die
Transportgewerkschaften für diesen Donnerstag einen Streik gegen die
Sparpolitik planen, der also wenige Tage vor dem Generalstreik
stattfinden soll, an dem sie sich aber auch beteiligen wollen. Das
verstehen wir auch nicht ganz, das kommt uns aus deutscher Sicht wie
Kräftezersplitterung vor.
Danach gab´s noch einige angeregte
Gespräche –soweit sprachlich möglich─ bei Häppchen und Raki. Wir werden
diesen Kontakt insbesondere durch die KollegInnen der Berliner S-Bahn
aufrechterhalten und aufbauen.
(Manfred, Jan)
Reisetagebuch Mittwoch, 19.9._______________________________________________________
Nachts: Talkshow im Kontrachannel
Über Stefanos, Anwalt, einen Bekannten von Rolf,
hatten wir eine Einladung bekommen, nachts von eins bis drei in einer
Sendung des privaten Senders Kontrachannel aufzutreten. Rolf, Andi,
Fritz und Jan nahmen es auf sich, sich die Nacht um die Ohren zu
schlagen.
Erfahrungen über die Bestrebungen zur Privatisierung der Berliner S-Bahn
Ausgehend von dem unsäglichen Beschluss der
Bundesregierung von 1994, der die Rechtsgrundlagen für die
Privatisierung des Bahnverkehrs in Deutschland schuf, berichtete ich
über Erfahrungen der anstehenden Privatisierung der S-Bahn Berlin.
Erfahrungen der Rationalisierungswelle, die in
Vorbereitung auf den zu erwartenden Wettbewerb durch den DB Konzern
vorgenommen wurde.
- Abbau von c. a. 800 Mitarbeitern
- Ausgründungen von Leistungen
- Verlängerung der Wartungsfristen in der Fahrzeuginstandhaltung
Was erwartet die Mitarbeiter im Wettbewerb?
Die Abgabe von Dienstleistungen rund um den
S-Bahnverkehr wird weiter vorangetrieben. Die Folgen sind weitere
Ausgründung von Leistungen (Reinigung, Marketing-Vertrieb). Dies erfolgt
entweder durch Vergabe an Firmen, die diese Leistungen billiger
erstellen (durch Einsatz von Subunternehmern), die ihre Beschäftigten
unter dem z. Z. bestehenden Tarif entlohnen.
Für die Mitarbeiter bedeutet dies Verlust des Arbeitsplatzes oder massiven Lohnverzicht, eine andere Alternative gibt es nicht.
Für die konkurrierenden
Eisenbahnverkehrsunternehmen sind die für den Bahntransport festen
Kosten (Energie-, Materialkosten) relativ gleich. Die Kosten für die
lebendige Arbeit hingegen sind flexibel. Hier ist der Ansatz für das
Erzielen von Gewinn. Oder, wenn der Lohn nicht abgesenkt wird, dann
stehen enorme Arbeitsleistungsverdichtungen an, die die Mitarbeiter
krank machen. Lange Schichten, mehr Arbeitsdruck oder zu wenig Lohn
wirken demotivierend. Das macht Mitarbeiter krank und schlägt durch bis
auf den familiären Bereich.
Für Bahnkunden bedeutet der privat betriebene Verkehr,
- dass er nicht zwangsläufig stabiler wird,
- dass es zu Fahrpreis Erhöhungen kommen wird (Umlage der steigenden Kosten auf den Kunden),
- unter Umständen werden unrentable Linien ausgedünnt.
Die Folgen sind:
- Verlust von Lebensqualität in den Randgebieten Berlins,
- Wertverlust der Grundstücke durch fehlende Verkehrsanbindung,
Privatisierung von Aufgaben der Daseinsvorsorge,
die in Verantwortung dem Staat liegt, ist die denkbar schlechteste
Alternative.
Fazit: Gegen diese Politik müssen wir uns wehren.
Dazu bedarf es aller Möglichkeiten des Kampfes, den wir bei unserer
Gewerkschaft einfordern müssen und dies bedeutet zugleich den Kampf um
unsere Organisationen zu führen. Bedeutet ebenso öffentlichkeitswirksam
zu agieren, denn die Bahnkunden sind unsere potentielle Verbündete.
Zum TV Auftritt:
Als Übersetzer stand uns RA Stefanos bei Seite. Als weiterer Gesprächsgast war ein Dr. Wassili anwesend.
Der Themenkomplex der Gesprächsrunde:
- die Haltung unserer Gruppe zur deutschen Politik gegenüber Griechenland mit all ihren Folgen,
- die Beantwortung von Zuschauerfragen zu den Lebensbedingungen in Deutschland im Vergleich zu Griechenland,
- Zum Umgang mit den ausstehenden Reparationsleistungen der Bundesregierung an das griechische Volk.
Man kann wohl demnächst mal versuchen die Sendung
bei You Tube anzuschauen unter kontrachanel.gr oder auch bei www
kontrachanel.gr
(Fritz)
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