Gewerkschafter fordern Ablehnung des Eisenbahnpakets im EU-Parlament
Am Dienstag protestierten rund 3000 Eisenbahner in Straßburg. Dort
stimmt das EU-Parlament heute über die weitere Liberalisierung in Europa
ab.
Einen Tag vor der Abstimmung des EU-Parlaments über das »4.
Eisenbahnpaket« der EU-Kommission demonstrierten am Dienstag rund 3000
Eisenbahner aus ganz Europa vor dem Straßburger EU-Parlament gegen eine
weitere Liberalisierung ihrer Branche und eine Einschränkung des
Streikrechts im Eisenbahnwesen. Sie waren einem Aufruf des Dachverbands
Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) gefolgt. Während einer
mehrstündigen Kundgebung in Sichtweite des weiträumig abgesperrten
Parlamentsgebäudes kritisierten sie die von EU-Verkehrskommissar Siim
Kallas vorangetriebene Zielsetzung, die bestehenden und bisher
überwiegend noch in öffentlichen Händen befindlichen Bahngesellschaften
aufzuspalten. Damit werde der Prozess der Zerschlagung und
Privatisierung nach britischem Vorbild vorangetrieben.
Angereist waren Gewerkschaftsdelegationen aus zahlreichen europäischen
Ländern. Allein die bundesdeutsche Bahngewerkschaft EVG und französische
Bahngewerkschaften hatte jeweils rund 1000 Mitglieder mobilisiert. »Wir
sind wütend, Hände weg von unserer Bahn« hatten sie auf ein riesiges
Transparent geschrieben.
»Wenn Netz und Betrieb voneinander getrennt werden, hat das
katastrophale Folgen«, warnte der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner. So
könne der Konzern Deutsche Bahn heute noch beispielsweise
berufsunfähige Lokführer umschulen und in anderen Bereichen einsetzen.
Bei einer Zerschlagung drohe den Betroffenen die Arbeitslosigkeit. Auch
im Betriebsalltag sei die organisatorische Trennung in separate, oftmals
gegeneinander arbeitende Firmen hinderlich und teuer. »Wenn jeder nur
noch seine eigenen Interessen verfolgt, schadet das Beschäftigten und
Kunden und macht das System Schiene letztlich unattraktiv«, so Kirchner.
Der Gewerkschafter kritisierte zudem, dass das »4. Eisenbahnpaket« im
Falle eines Arbeitskampfes eine Art Notdienst für den öffentlichen
Verkehr und damit faktisch eine Einschränkung des Streikrechts vorsehe.
»Das ist völlig inakzeptabel«, so Kirchner.
Die Beschäftigten stimmen ihm zu. »Rad und Schiene gehören im Interesse
von Sicherheit, Qualität und guter Arbeit in einem Unternehmen
zusammen«, so der Luxemburger Guy Greivelding. Julian Eisenberger,
Auszubildender und angehender Lokführer aus Hessen, hatte noch bis tief
in die Nacht kunstvoll ein eigenes Plakat mit der Aufschrift
»Liberalisierung? Jetzt reicht’s uns« angefertigt. »Die Eisenbahn soll
nicht zum Gelddrucken da sein, sondern als staatliche Dienstleistung für
den Bürger«, ist er überzeugt.
Auf eigene Faust angereist war der Lokrangierführer Volker Blaschke aus
dem holsteinischen Itzehoe. Von »Wettbewerb« auf den Schienen hält er
gar nichts: »Der findet nur auf dem Rücken der Eisenbahner statt, denn
die Kosten für Fahrzeuge und Trassen sind fix, variabel sind nur die
Löhne und Sozialabgaben.« Berliner S-Bahner waren um vier Uhr früh
aufgebrochen und hatten ein eigenes Transparent mit der Aufschrift »100
Prozent S-Bahn - keine Ausschreibung« mitgebracht. »Bei der S-Bahn will
keiner eine Ausschreibung, die Zerschlagung wirft schon längst ihre
Schatten voraus«, sagte S-Bahn-Betriebsrat Peter Polke.
»Liberalisierung und Privatisierung in Europa zeigen weltweite
Folgewirkung«, erklärte Mac Urata von der Internationalen
Transportarbeiterföderation (ITF). Er berichtete über jüngste erbitterte
wochenlange Eisenbahnerstreiks gegen die beabsichtigte
Bahnprivatisierung in Südkorea.
»Die Demonstration ist ein hoffnungsvolles Zeichen«, sagte Uwe Larsen
Röver, DB-Betriebsrat aus Halle. Er bedauerte, dass die
Lokführergewerkschaft GDL nicht zur Teilnahme aufgerufen hatte.
Demgegenüber war die norwegische Lokführergewerkschaft NLF in Straßburg
vertreten. »Die Liberalisierung in der EU hat auch für uns in Norwegen
negative Konsequenzen«, erklärte NLF-Sprecher Oystein Aslaksen. Im
Nachbarland Schweden sei die Liberalisierung seit Ende der 1980er Jahre
noch weiter gediehen als selbst in England und habe sich als totaler
Fehlschlag erwiesen. »Die machen unsere Infrastruktur kaputt«,
kritisierte auch der dänische Zugbegleiter Erik Bach und stellte die
Eisenbahnliberalisierung in einen Zusammenhang mit ähnlichen Prozessen
in den Bereichen Energie, Post und Wasser.
»Für uns gehört die Eisenbahn zu den öffentlichen Aufgaben«, erklärte
die deutsche EU-Abgeordnete Sabine Wils (LINKE) in der anschließenden
Parlamentsdebatte. Sie warnte vor einer Verschlechterung der Qualität
und Sicherheit im Bahnverkehr.
Die Abstimmung im Plenum über eine erste Stellungnahme zum 4.
Eisenbahnpaket ist für heute Mittag vorgesehen. Die EU-Kommission hatte
das vierte Eisenbahnpaket im Januar des vergangenen Jahres vorgelegt.
Verhandlungen über die endgültige Fassung des Eisenbahnpaktes zwischen
dem EU-Parlament und den nationalen Regierungen beginnen voraussichtlich
im Herbst.
Von Hans-Gerd Öfinger, Straßburg - 26.02.2014 - Neues Deutschland:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/925237.liberalisierte-fehlschlaege-gehen-weiter.html
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